Deepin hiess früher «Linux Deepin», heute heißt es einfach nur noch Deepin. Kürzlich schaffte die Distribution den Umstieg zu einem Debian-Unterboden, nachdem Ubuntu seit 2006 die Grundlage gewesen ist. Ich schaute mir Deepin genauer an.

Dass Deepin Linux aus China stammt möchte ich hier ganz bewusst nur am Rande erwähnen, ignoriert diese Tatsache einfach mal beim Lesen. Denn die meisten Leser rümpfen beim Wort «China» sofort die Nase, aber wenn sie dann ein extrem hübsches (und kostenloses) WPS Office unter Linux zu Gesicht bekommen wird staunend festgestellt, «das ist ja viel schöner als Libre Office!».

Abgesehen davon sind die Chinesen im Bereich Linux Desktop-Nutzung weiter als wir Europäer. Was also macht Deepin mit Platz 13 auf Distrowatch zur beliebtesten Distribution in ganz China?

Vom Look her hat Deepin deutliche Ähnlichkeiten mit Windows 10, zumindest seit der neusten Version 15.1 und dank der umschaltbaren Taskleiste. Die Taskbar sollte schnellstmöglich auf den «Modus Effizient» umgestellt werden (einfach mit Rechtsklick), denn das OSX ähnliche Panel ist sehr unpraktisch weil die wirre Anordnung der Icons irritiert und der Look zu plastisch ist – zumindest in meinen Augen wird hier übertrieben.

Einmal umgestellt wirkt Deepin sehr elegant. Diese Eleganz zieht sich auch durch die Icons und die Menüführung hindurch. Die Menüführung ist erfrischend anders: Mit einem Klick auf das Einstellungs-Icon schieben sich die Einstellungen von Rechts in den Bildschirm hinein. Diese Handhabung wirkt einfach und durchdacht, es dürfte ein Vorteil sein ploppt kein zusätzliches Fenster auf dafür.

Der Look bleibt dabei eher dunkel, was mir persönlich sehr gefällt. Im Hintergrund werkelt hier ein WebKit mit HTML5.

Auffallend ist die funktionierende Integration der Programme in die Taskbar. Ein Beispiel: Während viele Distributionen sich schwer tun ein Steam-Icon in die Taskbar aufzunehmen, ist das vorinstallierte Steam gleich nach dem Start korrekt platziert neben der Uhr unten rechts.

Deepin bringt wenig App-Ballast mit sich. Als Office ist das eingangs erwähnte WPS Office vorinstalliert, als eMail Programm ist Thunderbird dabei. Um Bilder anzuschauen gibt es einen Image Viewer, falls man Bilder bearbeiten möchte sollte zusätzlich GIMP heruntergeladen werden.

Musik mit Songtext-Overlay

Für die Musik hat Deepin eine eigene App an Bord genannt Deepin Music. Deepin Music fügt sich natlos in die Taskbar ein und bringt mindestens ein geniales Feature mit sich: Die Songtexte werden vollautomatisch eingeblendet und können ganz im Sinne eines Karaoke nach gesungen werden.

Zugegeben, in meinem Test hat dieses Programm eine völlig falsche Lyric angezeigt als der derzeitige Nr. 1 Hit von Alan Walker «Faded» beinhaltet (Screenshot), aber mal abgesehen von diesem Schnitzer finde ich die Idee genial.

Das automatische Songtext-Overlay kann mit einem Klick auf das blaue "L" deaktiviert werden.

Das automatische Songtext-Overlay kann mit einem Klick auf das blaue „L“ deaktiviert werden.

Als nächstes sollte ich das Multimedia Programm Deepin Movie erklären, aber getestet habe ich es noch nicht genügend. Es dürfte alle nötigen Funktionen mitbringen die man sich wünscht.

Deepin Movie

Deepin Movie

Debian als Unterbau, bye bye Ubuntu!

Die aktuelle Version Deepin 15.1 wurde im Dezember 2015 veröffentlicht und basiert neu auf Debian Unstable. Deepin tut das, was sich viele andere Distributoren auch wünschen würden aber den Umstieg auf einen unabhängigeren Unterboden noch nicht gewagt haben: Weg von Ubuntu, hin zu Debian um eine eigenständige Distribution zu werden ohne die vielen Abhängigkeiten zu Canonical.

Ich denke so ein heftiger Unterboden-Wechsel hat Vorteile und Nachteile. Die Nachteile zeigen sich meines Erachtens in der Bequemlichkeit des gewohnten Ubuntu Nutzers. Der Store in Deepin als Beispiel hat deutlich weniger Applikationen im Angebot als ein Ubuntu 16.04 sie anbietet. Das heißt selbstverständlich nicht, dass man die nicht gefundenen Programme nicht installieren kann, nein man bekommt sie halt einfach nicht mehr mit nur einem Klick.

Der Deepin Store mit kostenlosen Programmen für einen "One-Click-Download".

Der Deepin Store mit kostenlosen Programmen für einen „One-Click-Download“. Die Icons am linken Rand bezeichnen die Store-Kategorie.

Auch hat Debian keine PPAs wie Ubuntu sie anbietet. Das wiederum kann kompensiert werden, wenn man bei einem fehlenden Programm in Deepin einfach mit dem Keyword «Debian unstable» googelt, dazu kommt dass die meisten Programme innerhalb Debian Unstable sowieso als neuste Version verfügbar sind und nicht zurückbehalten werden wie das Ubuntu Repository es tut – die PPA wird damit sozusagen überflüssig.

Zudem habe ich gesehen, auch Deepin hat ein Treiber-Installationsfenster, worüber die binären Grafikkarten Treiber installiert werden können. Leider konnte ich dieses GUI noch nicht in Action ausprobieren, weil meine Installation nur in einer virtuellen Maschine besteht.

Privatsphäre erhöhen

Man sieht also, es hat Vor- und Nachteile. Ein weiterer Nachteil dürfte das verschwenderische Umgehen mit der Privatsphäre sein.

Als Standardbrowser kommt ein Chrome mit und das vorhin erklärte Deepin Music lädt die Songtexte vollautomatisch herunter. Wen das stört – und das ist nur verständlich -, der sollte einen Firefox mit NoScript installieren und die Lyric-Option im Musikprogramm deaktivieren. Deepin hat keine Werbe-Applikation eingebaut, ist also im vorneherein nicht zu vergleichen mit der kritisierten Amazon-Suche innerhalb den früheren Ubuntu’s.

China – was dagegen?

Was also spricht gegen die Nutzung von Deepin? Meiner Ansicht nach nur der schwache Community Support, denn das chinesische Forum ist weit mehr besucht als das Englische Deepin Forum.

Wer noch dem Mythos glaubt in jedem chinesischen Produkt sei sowieso eine Backdoor installiert dem sei gesagt, es ist Open Source, niemand wird abgehalten nach einer Hintertür zu suchen. Ich persönlich glaube nicht daran und finde Deepin eine wirklich gelungene und sehr schöne Distribution, die dank Debian als Unterboden mir persönlich sofort vertraut wirkt.

Den Umgang mit Debian kenne ich als Server-Administrator seit vielen Jahren zu genüge, doch ich würde niemals ein rohes Debian auf dem Desktop einsetzen – viel zu staksig und übelst hässlich. Deepin macht als «Debian Desktop» vieles besser, schöner und intuitiver. Vom Look her ist Deepin ebenbürtig oder sogar schöner als Windows 10.

Ich werde Deepin bald einmal physisch installieren (die Screenshots entstammen VMWare Player) und genauer unter die Lupe nehmen. Falls sich etwas an meiner positiven Meinung ändern sollte, werde ich es in meinem Blog berichten.

Download

Ich empfehle einen Mirror von Sourceforge, der offiziell verlinkte Mirror auf deepin.org hat eine langsame Verbindung nach Europa. Bitte immer prüfen, ob es eine neuere Version gibt als hier verlinkt!

Achtung bei Skylake: Deepin 15.1 bringt Kernel 4.2, der Support für die neuen Intel Skylake CPU kam erst mit Kernel 4.3. Ubuntu LTS 16.04 hat deswegen schon Kernel 4.4 mit Backports von Kernel 4.5 integriert, ob der Kernel von Deepin gewisse Backports beinhaltet kann ich nicht sagen; in fact eignet sich Kernel 4.2 aber noch nicht für Skylake CPUs.


Schroeffu

Der Autor ist Schweizer, verheiratet, war 7 Jahre in DE und nun allesamt zurück in die CH. Als Vater von inzwischen zwei Kindern stellt sich die Frage: Wann bekommen die Kids ein eigenes Linux Laptop? ;-D

17 Kommentare

Musty · 8. Mai 2016 um 00:28

Hallo und danke für den Beitrag
Sieht sehr schön aus. Würde aber ein Ubuntu bevorzugen, da es mehr verbreitet ist und bei problemen eher eine Lösung zu finden wäre.
Gruss Musty

chris_blues · 8. Mai 2016 um 01:03

Die Funktion, die Songtexte anzuzeigen kann Amarok schon seit Jahren, und daher ist Linux schon lange der Hit bei mir im Proberaum! Nur ist Amarok nicht gerade ein Leichtgewicht…

Insgesamt aber Danke für diese Meinung und den Tip.

Und ich würde mir auch eher ein Mint Debian Edition aufsetzen als die Ubuntu Variante!

Und der Fakt, daß im englischsprachigen Forum lange nicht soviel los ist, wie im chinesischen, wäre auch für mich eher ein Argument das mal auszuprobieren!

Jruß
chris

chris_blues · 8. Mai 2016 um 01:10

Ach, sorry; das hab ich noch sagen wollen:

Den Spruch, daß Debian auf dem Desktop zu staksig und haßlich wär (oder so ähnlich) kann ich nicht so ganz nachvollziehen ehrlich gesagt. Daß viele Sachen ein wenig konträr laufen – designmäßig – ist meiner Meinung nach eher ein Linux- oder FLOSS-Problem, als ein Debian-Problem. Auf Arch siehts ebenso lustig aus, wenn GTK2|3, QT und was weiß ich noch was für libs versuchen einheitlich auszusehen…

Da wäre mal eher eine geschlossene Front gefragt, wie die Entwickler ihre GUIs aussehen lassen wollen. Aber hier fängt auch wieder der ewige Kleinkrieg der Toolkits an, der hier nicht viel verloren hat… Ist halt nicht so einfach ungefähr unendlich viele Meinungen unter einen Hut zu bringen!

Jetzt halt ich aber die Klappe! :o)

Luyin · 8. Mai 2016 um 13:46

Zu Songtexten: Clementine ist eine etwas leichtere Alternative zu Amarok, die das genau so kann. (https://wiki.ubuntuusers.de/Clementine/)

Erik · 7. Oktober 2016 um 08:52

Endlich mal was anderes! Ich persönlich finde, dass die Chinesen da eine sehr schicke und intuitive Distro geschaffen haben. Ich habe Deepin zu Testzwecken auch gleich mal physisch installiert.
Folgendes Problem habe ich jetzt: Wenn ich etwas in den Systemeinstellungen ändere (z.B. die Tastaturbelegung auf Deutsch umstelle), wird dies irgendwie nie gespeichert, sodass die Einstellungen immer wieder zum Ursprung zurückspringen.
Hat dafür schon jemand eine Lösung gefunden?

    Joachim Büchele · 22. Februar 2020 um 20:08

    Servus , hast du vielleicht inzwischen eine Lösung gefunden ? Zu den sich zurücksetzenden Einstellungen ? Bei mir ist es die Zeitenstellung die etwas nervt . Die Uhrzeit ist stets eine Stunde verkehrt , und die 24 Stunden Anzeige hüpft auch bei jedem Neustart raus . Die falsche Zeit habe ich auch häufig bei Win . 10 . Könnte es sein das sich meine 3 Systeme nicht so recht vertragen ? —Deepin , MX patito feo , Win 10 . Dein Beitrag ist zwar nicht ganz neu , vielleicht liest du das trotzdem mal . Gruss –Joachim

Thoys · 26. November 2016 um 19:16

Hei,

kennt jemand die Distribution genauer? Also Debian ist der Unterbau, aber wie sehr kommuniziert der Aufbau (grafische Oberfläche usw. ) mit der Herstellerfirma?
Also Datenschutz, Sicherheit usw.?

Schöne Grüße

    Schroeffu · 30. November 2016 um 23:54

    Hallo Thoys,
    ich habe Deepin nebenbei auf meinem Highend-Notebook mitinstalliert, aber leider komme ich kaum dazu es weiter zu testen. Das PRoblem ist, die Updates gehen (noch) über Chinaserver, der Download aus dem Repository von dort ist eeewig langsam, so dass ich die Nerven verliere und wieder Mint starte. Falls ich mal dazu komme werde ich ein Update bloggen, mich interessiert es auch deshalb behalte ich die Distro auf dem Schirm.
    Bezüglich Datenschutz kann ich nichts mit Gewissheit sagen, aber ich hatte das Gefühl, Datenschutz ist keine Prio in dieser Distro. Schon nur weil das Musikprogramm per Default die Lyric nachlädt, als Beispiel.

      axst · 16. Februar 2019 um 11:57

      Also ich benutze DEEPIN schon seid einigen jahren und habe zum Updaten einfach den Spiegelserver gewechselt UNI DE

mazienho · 21. April 2017 um 16:51

Netter Artikel.
Mittlerweile gibt es ein Update (15.4).
Bzgl. der langsamen Verbindung zum Repo-Server bin ich auf folgenden Link gestoßen: http://linuxdeepin.shendu.com/mirrors.en.html
Hier gibt es mehrere Repos in Europa und u.a. auch in Deutschland. Den Hinweis oben auf der Seite, dass im Store automatisch nach dem schnellsten Mirror gesucht werden kann, habe ich nicht hinbekommen.
Aber in der Datei /etc/apt/sources.list habe ich den vorhandenen Eintrag durch
„deb https://ftp.fau.de/deepin/ unstable contrib non-free“
ersetzt und es scheint mir schneller zu gehen.
Falls du es noch nicht getestet hast, hilft es ja. Ich werde auf jeden Fall Deepin in der VM behalten. Erster Eindruck ist auf jeden Fall sehr vielversprechend. Auch wenn ich mit meinem elementary OS ebenfalls einen Augenschmeichler habe.

Benjamin · 30. September 2018 um 17:06

Definitiv ist Deepin das bessere Windows 10!

    Schroeffu · 18. Oktober 2018 um 16:28

    Ich werde es demnächst mal wieder installieren, bin gespannt was die neuste Version alles für Verbesserungen mitgebracht hat :-)!

Rainer · 1. Mai 2019 um 16:56

Seit einiger Zeit interssiere ich mich für Linux, weil mir Win 10 nicht gefällt. Mein Favorit war bisher Elementary OS, welches aber zu wenig Optionen bietet. Ubuntu ist mir schon zu überladen.

Die aktuelle Deepin-Version (15.10) kommt mir gerade recht und überzeugt bei Installation, Handhabung und Design! Jetzt warte ich noch auf die deutsche Oberfläche von WPS Office (für Win bereits verfügbar) und dann heißt es Bye-bye MS.

    Joachim Büchele · 22. Februar 2020 um 20:12

    Kannst dir ja mal MX patito feo ansehen . Auch fein . Gruss

Links der Woche 19-2016 | Mkuh · 13. Mai 2016 um 15:02

[…] Vorstellung von Deepin Linux […]

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